Am Samstag, 22. Oktober 2016, haben uns die Schweizer Indie-Band YOKKO und ihr Support-Act BRNS einen fantastischen Konzertabend im TapTab Schaffhausen beschert. Im Vorfeld des Konzertes konnten wir mit Adrian Erni, dem Sänger von YOKKO, ein ausführliches Interview führen. Zudem gibt's nachfolgend noch Fotos und Videos vom Konzert.
YOKKO spielten erst zwei Mal in Schaffhausen, das erste Mal am 8x15 im Jahr 2012 in der Kammgarn und dann noch 2014 auf dem Herrenacker am Stars in Town Festival. Nun kehrten sie endlich in die Munotstadt zurück, um im TapTab kräftlig einzuheizen. Vor dem Konzert haben wir ein Interview mit YOKKO Sänger Adrian Erni geführt.
Beat Hochheuser: Wenn man euer erstes Album "Seven Seas“ mit dem neuen Albumg „To the fighters. To the boxers.“ vergleicht, hat sicher eine Weiterentwicklung bei euch als Band stattgefunden. Worin besteht diese aus deiner Sicht hauptsächlich?
Adrian Erni: Wir sind sicher reifer und erwachsener geworden. Allgemein ist ein Album jeweils ein Zeitdokument. Wir sind älter geworden und wissen etwas mehr, was wir wollen. Es verbindet uns und es fordert, so ein Album auf die Beine zu stellen. Ich bin jedoch schon am Weiterdenken, da ich jetzt im Kopf schon wieder etwas anders bin als vor einem halben Jahr. Es ist eine schnelle Entwicklung und es geht darum, wie man die Songs jetzt neu wahr nimmt, da es ja niemals das exakt gleiche Gefühl ist wie damals, als man den Song geschrieben oder aufgenommen hat.
Es ist spannend, wie die Songs gleichwohl noch die Magie behalten, wie die Leute am Live-Konzert damit umgehen und wie stark sie sich damit auseinandersetzen. Unsere ersten zwei Konzerte in der Grabenhalle in St. Gallen und im KIFF in Aarau waren super. Dort kam sehr gute Energie zurück. Beim ersten Album "Seven Seas" war das noch nicht so weit oder wir waren noch nicht so weit. Jedes Live-Konzert wird je länger desto mehr ein Genuss für uns.
Beat Hochheuser: Das Release-Datum des neuen Albums „To the fighters. To the boxers.“ hat sich etwa ein halbes Jahr heraus gezögert. Seht ihr euch selber als Fighter und Boxer an, dass ihr es doch noch fertiggestellt habt? Oder ist der Name auch so zu verstehen, dass vielleicht jeder einzelne eigene Ideen durchsetzen wollte?
Adrian Erni: Das ist eine sehr gute Frage, die wahrscheinlich jeder von uns etwas anders beantworten würde. Ich kann sie einfach für mich in dem Sinne beantworten, dass es sicher eine intensive Auseinandersetzung über längere Zeit ist, bis man so ein Album fertiggestellt hat. Das kann sicher anstrengend sein, genau so wie die Tour es ist, welche jetzt über ein Jahr dauern wird. Wir dürfen das machen, was wir gerne machen und trotzdem macht man Abstrich bei Familie, Freunden und Freundin.
Sowohl für uns als auch für die Leute soll das Album ein Kick sein. Wir leben unseren Traum mit diesem Projekt, glauben daran und geben viel. Wir möchten die Leute ermutigen, so etwas zu machen und nicht vor einem allfälligen Scheitern Angst zu haben. Man soll für das Kämpfen, bei dem man meint, dass es im jetzigen Zeitpunkt das Richtige ist. Wenn sich das in zehn Jahren ändert und es die Band nicht mehr gibt, ist das nicht der Punkt. Der Punkt ist viel mehr das hier und jetzt, dass man das macht und wagt, was man momentan für richtig hält. Dies möchten wir den Leuten weitergeben und aus diesem Grund haben wir auch diesen Namen für das neue Album gewählt. Dies ist genau das, was der Schweiz ein bisschen fehlt. Man soll etwas richtig machen, wenn man es wirklich will und es besteht eine klare Abgrenzung zu Sachen, bei denen man einfach findet "ich mache es noch gern". So haben wir auch mal angefangen, aber nach dem das erste Album "Seven Seas" gleich so richtig eingeschlagen hat, mussten wir uns fragen, ob wir das wirklich wollen.
Wir sind jetzt auf dieser Tour mit jedem weiteren Konzert am Herausfinden, ob wir weiterhin so viel Energie hinein geben möchten und auch können und ob es nach wie vor das ist, was jeden einzelnen in der Band persönlich glücklich macht. Es ist ja nichts, was man nicht auch beenden kann. Es soll kein Arbeitsvertrag sein, der über drei Jahre geht. Es fühlt sich momentan nicht so an, als wenn jemand in der Band keine Lust mehr hätte, aber es ist trotzdem wichtig, dass man sich darüber Gedanken macht. Wir erleben auf Tour, bei Konzerten und an Festivals so viele Bands, die nicht das Privileg haben, so viel spielen zu dürfen, wie wir. Deshalb müssen wir es ernst und seriös nehmen und es muss seine Berechtigung haben. Es soll nicht einfach nur ein bisschen schön sein, sondern es soll Tiefgang haben und wir wollen eine Message verbreiten.
Wir wollen mit den Leuten eine gute Zeit haben. Wir wollen sie sensibilisieren für die Musik und sie dazu bewegen, aus sich selber heraus zu kommen. Vieles findet heute nur noch digital über die sozialen Medien statt und die Leute freuen sich am meisten über 50 digitale Likes. Ich persönlich finde es jedoch schön, wenn mir mal jemand persönlich und analog Danke sagt. Diese Nähe zu den Leuten ist mir extrem wichtig. Analog ist auch, wie wir unser Album aufgenommen haben. Ich bin noch halb analog aufgewachsen und dann kam die Digitalisierung. Ich kenne das Leben noch ohne Handy. Das erste, was ich so mitbekommen hatte, war das Tamagotchi. Nachbarinnen von mir fingen an, mit solch einem digitalen Tier zu reden und hatten das Gefühl, es sei ein lebendiger Hund.
Es ist ein Lernprozess mit der Technik umzugehen und trotzdem Mensch zu bleiben. Der reale Kontakt zu den Leuten ist mir wichtig und das ist in der Schweiz noch schwierig. Die Leute haben Respekt oder man kann auch sagen sie haben stets so einen gewissen Abstand. Für mich ist es schwierig diesen zu brechen. Die Leute bezahlen um die 30 Franken Eintritt für 60 Minuten Musik und trotzdem finden sie es dann wichtiger, der Kollegin vom morgendlichen Einkauf zu erzählen, als sich 100% der Musik am Konzert zu widmen. Vielleicht ist das jetzt ein bisschen böse oder auch total unberechtigt, aber ich habe den Eindruck, dass man im Ausland mehr Ansehen hat. In der Schweiz haben die Leute mehr Geld und es ist ihnen wie etwas egal, wenn man halt mal 50 Franken für ein Ticket bezahlt hat und dann doch gar nicht so viel vom eigentlichen Konzert mit bekommt. Diesen Eindruck habe ich jedenfalls.
Wir spielen jetzt bewusst in kleinen Locations und ich höre alles, auch wenn in der hintersten Reihe jemand redet. Ich habe auch keine Angst, jemanden zu sagen, dass er doch einfach raus gehen soll, wenn er reden möchte. Es gibt nämlich dann schon noch die anderen, die gerne zuhören möchten - und von denen gibt es viele. Je kleiner die Locations sind, desto besser hat man das unter Kontrolle. Aus diesem Grund machen wir diese aktuelle Tour durch die kleineren Clubs - und nicht in Hallen, in die 1'000 Leute passen - diese würden wir im Übrigen auch gar nicht füllen. Das finde ich sehr spanned und das fegt! Die ersten beiden Konzerte waren wirklich super, die Energie ging hin-und-zurück und wieder hin-und-zurück. Wir waren uns am Anfang nicht ganz sicher und dann haben wir uns entschieden, dass wir es so machen. Jetzt bin ich gespannt, ob das heute wiederum so funktionieren wird.
Beat Hochheuser: Wie seid ihr darauf gekommen, eurer neues Album „To the fighters. To the boxers.“ in Berlin aufzunehmen?
Adrian Erni: Berlin war nicht in Stein gemeisselt, es hätte auch genau so gut irgendein anderer Ort werden können. Wir wollten einfach unserem Alltag entfliehen und uns vom Alltagstrott entfernen. Wir spielen hier ein Konzert am Freitag und ein Konzert am Samstag und am Montag gehen wir wieder ins Büro um zu arbeiten. Das sind zwei Welten und der Wechsel zwischen diesen beiden gelingt mal besser und mal ist es schwieriger. Ich finde es wichtig, dass man sich Zeit nimmt und um 100% zu geben brauchen wir die Isolation. Für das erste Album haben wir uns auf eine Berghütte im Kanton Jura zurückgezogen und hatten dort keinen Kontakt und kein WLAN. So etwas wollten wir wieder machen und zudem mit jemandem zusammenarbeiten, der uns und unser Songwriting hinterfragt. Wir suchten einen Mentor, der uns etwas beibringen kann, was wir noch nicht können. Wir haben uns dann verschiedene Alben angehört und ein paar Wunschkandidaten herausgesucht, mit welchen wir in Kontakt getreten sind und geskypt haben.
Mit Niels Zuiderhoek, bei dem wir das Album nachher aufgenommen haben, hat es auf der menschlichen Ebene irgendwie gemerged und das ist eben extrem wichtig und nicht nur so Namedropping-Geschichten. Man arbeitet nachher intensiv über drei Monate miteinander und dafür muss die Basis stimmen. Das alles hat mit Nils sehr gut geklappt und er hat sein Studio in Berlin, vom dem wir wussten, dass es gut klingt, aus diesem Grund haben wir dann auch alles dort aufgenommen. Es hätte also auch irgendwo in der Schweiz passieren können. Ich verstehe aber, dass viele Bands nach Berlin gehen, um sich neu zu erfinden, es ist eine sehr angenehme Stadt und wir haben uns wohl gefühlt.
Beat Hochheuser: Neben dem Auftreten auf der Bühne gibt es ja noch einen Haufen andere Sachen, die zu machen sind, wie Facebook, Instagram, Interviews geben etc. Macht ihr das ebenfalls gerne oder macht ihr das nur, um möglichst bald wieder auf der Bühne stehen zu können?
Adrian Erni: Wir machen das alles selber und die Gefahr, dass man sich in dem ganzen Drumherum verliert, ist sehr gross. Diese ganzen Sachen haben ebenfalls ihre Faszination, aber wir möchten das eigentlich alles abgeben, so dass wir uns nur noch um die Musik kümmern können, was uns das Allerwichtigste ist. Es gibt 1'000 Leute, die das besser können als wir und uns nervt es schlussendlich nur, da wir uns über uns selber aufregen. Es gibt nur schlechte Stimmung, wenn drei von uns das eine Foto besser finden und die anderen beiden das andere Foto und dann wird irgendein blöder Post gemacht. Das soll in Zukunft lieber jemand machen, dem das Spass macht. Wir haben unsere Vision und wir suchen jetzt Leute, die diese Vision tragen und für uns arbeiten, damit wir uns wieder auf die Musik konzentrieren können.
Bis jetzt ist es super gelaufen. In der Schweiz braucht man keinen Manager, wenn man selbst etwas im Kopf und gute Kontakte hat. Es ist sicher okay, wenn man einen Manager hat, aber brauchen tut man ihn aus meiner Sicht nicht. Aber jetzt, wo wir vermehrt ins Ausland gehen, möchten wir all dies nicht weiterhin selber machen für einen Markt, den wir gar nicht kennen. Ich möchte mich da nicht einlesen und die anderen möchten das auch nicht. Das soll jemand anderes machen, der darin Erfahrung hat.
Beat Hochheuser: Ihr scheint eine grosse Verbundenheit mit den Weltmeeren zu haben. Das erste Album hiess „Seven Seas“, es gibt Lieder wie „Flood“ und ihr bezeichnet eure Musikrichtung als „Atlantic Wave“ – woher kommt diese Verbundenheit mit dem Ozean?
Adrian Erni: Wir wollten bei Seven Seas ein Konzeptalbum machen. Wir haben Musik gemacht, dann den Kern herausgeschält und danach das Konzept geschrieben. Es war also nicht so, dass wir zuerst ein Konzept geschrieben und dann die Lieder dazu gemacht haben, sondern umgekehrt. Denn so funktioniere ich nicht und die anderen auch nicht. Wir fanden Gefallen am Meer, am Element Wasser, an der Seefahrt mit ihren Höhen und Tiefen. Man wird an den Strand gespühlt, man hat es im Leben mit schönen Sachen zu tun und mit Sachen die einen herunterdrücken und dann spühlt es einen wieder hinauf. Es hat sich dann nachher alles so ergeben. Der Begriff "Indie-Rock" als Musikrichtung wurde auch schon etwas zu viel beansprucht, mit dem kann man heute eigentlich schon gar nicht mehr kommen, deshalb war es auch ein Marketing-Gedanke, unsere Musikrichtung stattdessen "Atlantic Wave" zu nennen. Beim neuen Album haben wir vom Element Wasser dann eher zum Element Erde gewechselt. Vorher sind wir eher etwas geflogen, auch musikalisch, nun sind wir ein bisschen erwachsener geworden.
Beat Hochheuser: Bei Live-Auftritten ist neben der reinen Musik auch das Bühnenbild sehr wichtig. Ihr hattet dort schon recht spacige Sachen, z.B. am Stars in Town Festival in Schaffhausen mit den Foto-Schirmen, die wie Sattelitenschüsseln aussahen. Wer macht das bei euch und was steckt dahinter?
Adrian Erni: Das macht bei uns alles unser Keyboarder und Synthesizer-Spieler, Daniel Fanslau. Er kümmert sich um alles was Licht, Bühnenbild und Banner anbelangt, das flasht ihn am meisten. Wir hatten wenig Geld und so haben wir probiert, mit möglichst einfachen Mitteln eine möglichst gute Wirkung zu erzielen. Daniel hat dann etwas gesucht, was nicht viel kostet, einfach zu transportieren ist und eine Wirkung entfacht, die man noch nicht gesehen hat. Die Foto-Schirme hatten in unserem kleinen Bandbus gut Platz. Einen Swimming Pool auf der Bühne, um das Element Wasser zu repräsentieren, hatten wir leider nicht - den hat es im Optimalfall dann Backstage.
Beat Hochheuser: Ihr fallt immer wieder durch interessante Marketing Ideen auf. Ein Genie-Streich war beispielsweise das Golden Ticket, welches in manchen CDs des neuen Albums versteckt war und sich sicher auch absatzfördernd auswirkte. Wer hat diese tollen Ideen und wie läuft die Umsetzung?
Adrian Erni: Das Golden Ticket war in jedem fünften Album bei ExLibris versteckt und wir haben es selber in die CD Hüllen gesteckt. Die Finder dürfen mit ihrem besten Freund kostenlos zu einer Yokko Club Show ihrer Wahl kommen. Wir machen diese ganzen Sachen immer noch selbst. Ich finde es auch wichtig, dass man das lernt. Irgendwann werden wir aber jemanden brauchen, der sich um die Umsetzung kümmert. Die Ideen werden immer von uns kommen, die Ausführung soll aber in Zukunft jemand übernehmen, der dies besser und schneller macht als wir. Wir möchten künftig nur noch eine Sitzung machen, bei der wir sagen, was wir gerne umgesetzt haben möchten und dann werden wir die Ausführung einem Externen überlassen, damit wir mehr Zeit für die Musik haben.
Beat Hochheuser: Ihr geht jetzt dann mit den weltberühmten Nada Surf auf Tour, wie ist es dazu gekommen?
Adrian Erni: Ganz einfach, wir hatten sie angeschrieben, dass wir sehr viel Lust darauf hätten, mit ihnen zu touren und so eine Anfrage landet dann jeweils beim Management der Band. Eigentlich hätten wir es schon ein halbes Jahr vorher machen wollen, aber damals waren wir zu spät dran. Jetzt hatte ich gesehen gehabt, dass sie abermals auf Tour gehen und dann hatten wir ihnen geschrieben, wie es jetzt aussieht. Es ging dann zwischen dem Management und uns hin und her - und es brauchte natürlich schon ein bisschen mehr, als einfach nur ein Email. Wir mussten dafür kämpfen und schlussendlich haben wir es geschafft. Jetzt bin ich total happy. Es ist etwas, was wir in dieser Dimension noch nicht gehabt haben und das ist natürlich spannend. Vielleicht gefällt es uns ja dann auch gar nicht, wir wissen es noch nicht, aber wir werden es ja dann herausfinden.
Beat Hochheuser: Lezte Frage, was ist das Verrückteste, was euch je bei einem Konzert passiert ist?
Adrian Erni: Kleinere Sachen passieren immer mal, dass zum Beispiel der Gitarrenhals während dem Konzert bricht oder du die Gitarre hinter der Bühne vergisst. Aber das Verrückteste, was uns je passiert ist, war Folgendes: Wir haben an der Viadukt-Nacht in Zürich gespielt. Das ist ein Strassenfest bei diesen Steinbögen. Es waren extrem viele Leute dort, so dass wir ohnehin schon lange brauchten, bis wir durch die ganzen Leute durchgefahren waren, um unsere Sachen auf der Bühne aufzustellen. Wir waren genau auf die Zeit des Soundchecks dort und haben dann plötzlich gemerkt, dass wir doch tatsächlich den Synthesizer vergessen hatten und das nicht irgendwo, sondern in Bern. Dani eilte auf den Zug und fuhr nach Bern, schnappe sich den Synthesizer und fuhr wieder mit dem Zug zurück nach Zürich. Er kam zurück auf die Bühne und wir konnten wirklich exakt auf die Minute anfangen zu spielen. Ich glaube, verrückter geht es fast nicht.
Für uns ist alles ein riesen Highlight. Wir konnten schon an extrem geilen Orten spielen und es ist schön, dass immer noch das Bedürfnis bei den Leuten besteht, Yokko hören zu wollen. Ich hoffe, dass dies noch lange so bleiben wird und wir weiterhin daran wachsen dürfen. Wir sind noch nicht in der Königsklasse angekommen, aber dort möchten wir schlussendlich hin. Wir brauchen jede einzelne Show, um zu lernen. Mit jeder Tour, die noch kommen wird, werden wir besser werden und mit jedem Album oder jeder Auskopplung werden wir wieder einen Schritt weiter kommen. Vielleicht hört es auch gar nie auf, aber auf jeden Fall geht es vorwärts und das fägt!
Text, Fotos und Videos: Beat Hochheuser für Schaffhausen.net
Die Schweizer Indie-Band YOKKO live im TapTab Schaffhausen |
Beat Hochheuser: Wenn man euer erstes Album "Seven Seas“ mit dem neuen Albumg „To the fighters. To the boxers.“ vergleicht, hat sicher eine Weiterentwicklung bei euch als Band stattgefunden. Worin besteht diese aus deiner Sicht hauptsächlich?
Adrian Erni: Wir sind sicher reifer und erwachsener geworden. Allgemein ist ein Album jeweils ein Zeitdokument. Wir sind älter geworden und wissen etwas mehr, was wir wollen. Es verbindet uns und es fordert, so ein Album auf die Beine zu stellen. Ich bin jedoch schon am Weiterdenken, da ich jetzt im Kopf schon wieder etwas anders bin als vor einem halben Jahr. Es ist eine schnelle Entwicklung und es geht darum, wie man die Songs jetzt neu wahr nimmt, da es ja niemals das exakt gleiche Gefühl ist wie damals, als man den Song geschrieben oder aufgenommen hat.
Es ist spannend, wie die Songs gleichwohl noch die Magie behalten, wie die Leute am Live-Konzert damit umgehen und wie stark sie sich damit auseinandersetzen. Unsere ersten zwei Konzerte in der Grabenhalle in St. Gallen und im KIFF in Aarau waren super. Dort kam sehr gute Energie zurück. Beim ersten Album "Seven Seas" war das noch nicht so weit oder wir waren noch nicht so weit. Jedes Live-Konzert wird je länger desto mehr ein Genuss für uns.
Beat Hochheuser: Das Release-Datum des neuen Albums „To the fighters. To the boxers.“ hat sich etwa ein halbes Jahr heraus gezögert. Seht ihr euch selber als Fighter und Boxer an, dass ihr es doch noch fertiggestellt habt? Oder ist der Name auch so zu verstehen, dass vielleicht jeder einzelne eigene Ideen durchsetzen wollte?
Adrian Erni: Das ist eine sehr gute Frage, die wahrscheinlich jeder von uns etwas anders beantworten würde. Ich kann sie einfach für mich in dem Sinne beantworten, dass es sicher eine intensive Auseinandersetzung über längere Zeit ist, bis man so ein Album fertiggestellt hat. Das kann sicher anstrengend sein, genau so wie die Tour es ist, welche jetzt über ein Jahr dauern wird. Wir dürfen das machen, was wir gerne machen und trotzdem macht man Abstrich bei Familie, Freunden und Freundin.
Sowohl für uns als auch für die Leute soll das Album ein Kick sein. Wir leben unseren Traum mit diesem Projekt, glauben daran und geben viel. Wir möchten die Leute ermutigen, so etwas zu machen und nicht vor einem allfälligen Scheitern Angst zu haben. Man soll für das Kämpfen, bei dem man meint, dass es im jetzigen Zeitpunkt das Richtige ist. Wenn sich das in zehn Jahren ändert und es die Band nicht mehr gibt, ist das nicht der Punkt. Der Punkt ist viel mehr das hier und jetzt, dass man das macht und wagt, was man momentan für richtig hält. Dies möchten wir den Leuten weitergeben und aus diesem Grund haben wir auch diesen Namen für das neue Album gewählt. Dies ist genau das, was der Schweiz ein bisschen fehlt. Man soll etwas richtig machen, wenn man es wirklich will und es besteht eine klare Abgrenzung zu Sachen, bei denen man einfach findet "ich mache es noch gern". So haben wir auch mal angefangen, aber nach dem das erste Album "Seven Seas" gleich so richtig eingeschlagen hat, mussten wir uns fragen, ob wir das wirklich wollen.
Wir sind jetzt auf dieser Tour mit jedem weiteren Konzert am Herausfinden, ob wir weiterhin so viel Energie hinein geben möchten und auch können und ob es nach wie vor das ist, was jeden einzelnen in der Band persönlich glücklich macht. Es ist ja nichts, was man nicht auch beenden kann. Es soll kein Arbeitsvertrag sein, der über drei Jahre geht. Es fühlt sich momentan nicht so an, als wenn jemand in der Band keine Lust mehr hätte, aber es ist trotzdem wichtig, dass man sich darüber Gedanken macht. Wir erleben auf Tour, bei Konzerten und an Festivals so viele Bands, die nicht das Privileg haben, so viel spielen zu dürfen, wie wir. Deshalb müssen wir es ernst und seriös nehmen und es muss seine Berechtigung haben. Es soll nicht einfach nur ein bisschen schön sein, sondern es soll Tiefgang haben und wir wollen eine Message verbreiten.
Wir wollen mit den Leuten eine gute Zeit haben. Wir wollen sie sensibilisieren für die Musik und sie dazu bewegen, aus sich selber heraus zu kommen. Vieles findet heute nur noch digital über die sozialen Medien statt und die Leute freuen sich am meisten über 50 digitale Likes. Ich persönlich finde es jedoch schön, wenn mir mal jemand persönlich und analog Danke sagt. Diese Nähe zu den Leuten ist mir extrem wichtig. Analog ist auch, wie wir unser Album aufgenommen haben. Ich bin noch halb analog aufgewachsen und dann kam die Digitalisierung. Ich kenne das Leben noch ohne Handy. Das erste, was ich so mitbekommen hatte, war das Tamagotchi. Nachbarinnen von mir fingen an, mit solch einem digitalen Tier zu reden und hatten das Gefühl, es sei ein lebendiger Hund.
Es ist ein Lernprozess mit der Technik umzugehen und trotzdem Mensch zu bleiben. Der reale Kontakt zu den Leuten ist mir wichtig und das ist in der Schweiz noch schwierig. Die Leute haben Respekt oder man kann auch sagen sie haben stets so einen gewissen Abstand. Für mich ist es schwierig diesen zu brechen. Die Leute bezahlen um die 30 Franken Eintritt für 60 Minuten Musik und trotzdem finden sie es dann wichtiger, der Kollegin vom morgendlichen Einkauf zu erzählen, als sich 100% der Musik am Konzert zu widmen. Vielleicht ist das jetzt ein bisschen böse oder auch total unberechtigt, aber ich habe den Eindruck, dass man im Ausland mehr Ansehen hat. In der Schweiz haben die Leute mehr Geld und es ist ihnen wie etwas egal, wenn man halt mal 50 Franken für ein Ticket bezahlt hat und dann doch gar nicht so viel vom eigentlichen Konzert mit bekommt. Diesen Eindruck habe ich jedenfalls.
Wir spielen jetzt bewusst in kleinen Locations und ich höre alles, auch wenn in der hintersten Reihe jemand redet. Ich habe auch keine Angst, jemanden zu sagen, dass er doch einfach raus gehen soll, wenn er reden möchte. Es gibt nämlich dann schon noch die anderen, die gerne zuhören möchten - und von denen gibt es viele. Je kleiner die Locations sind, desto besser hat man das unter Kontrolle. Aus diesem Grund machen wir diese aktuelle Tour durch die kleineren Clubs - und nicht in Hallen, in die 1'000 Leute passen - diese würden wir im Übrigen auch gar nicht füllen. Das finde ich sehr spanned und das fegt! Die ersten beiden Konzerte waren wirklich super, die Energie ging hin-und-zurück und wieder hin-und-zurück. Wir waren uns am Anfang nicht ganz sicher und dann haben wir uns entschieden, dass wir es so machen. Jetzt bin ich gespannt, ob das heute wiederum so funktionieren wird.
Beat Hochheuser: Wie seid ihr darauf gekommen, eurer neues Album „To the fighters. To the boxers.“ in Berlin aufzunehmen?
Adrian Erni: Berlin war nicht in Stein gemeisselt, es hätte auch genau so gut irgendein anderer Ort werden können. Wir wollten einfach unserem Alltag entfliehen und uns vom Alltagstrott entfernen. Wir spielen hier ein Konzert am Freitag und ein Konzert am Samstag und am Montag gehen wir wieder ins Büro um zu arbeiten. Das sind zwei Welten und der Wechsel zwischen diesen beiden gelingt mal besser und mal ist es schwieriger. Ich finde es wichtig, dass man sich Zeit nimmt und um 100% zu geben brauchen wir die Isolation. Für das erste Album haben wir uns auf eine Berghütte im Kanton Jura zurückgezogen und hatten dort keinen Kontakt und kein WLAN. So etwas wollten wir wieder machen und zudem mit jemandem zusammenarbeiten, der uns und unser Songwriting hinterfragt. Wir suchten einen Mentor, der uns etwas beibringen kann, was wir noch nicht können. Wir haben uns dann verschiedene Alben angehört und ein paar Wunschkandidaten herausgesucht, mit welchen wir in Kontakt getreten sind und geskypt haben.
Mit Niels Zuiderhoek, bei dem wir das Album nachher aufgenommen haben, hat es auf der menschlichen Ebene irgendwie gemerged und das ist eben extrem wichtig und nicht nur so Namedropping-Geschichten. Man arbeitet nachher intensiv über drei Monate miteinander und dafür muss die Basis stimmen. Das alles hat mit Nils sehr gut geklappt und er hat sein Studio in Berlin, vom dem wir wussten, dass es gut klingt, aus diesem Grund haben wir dann auch alles dort aufgenommen. Es hätte also auch irgendwo in der Schweiz passieren können. Ich verstehe aber, dass viele Bands nach Berlin gehen, um sich neu zu erfinden, es ist eine sehr angenehme Stadt und wir haben uns wohl gefühlt.
Beat Hochheuser: Neben dem Auftreten auf der Bühne gibt es ja noch einen Haufen andere Sachen, die zu machen sind, wie Facebook, Instagram, Interviews geben etc. Macht ihr das ebenfalls gerne oder macht ihr das nur, um möglichst bald wieder auf der Bühne stehen zu können?
Adrian Erni: Wir machen das alles selber und die Gefahr, dass man sich in dem ganzen Drumherum verliert, ist sehr gross. Diese ganzen Sachen haben ebenfalls ihre Faszination, aber wir möchten das eigentlich alles abgeben, so dass wir uns nur noch um die Musik kümmern können, was uns das Allerwichtigste ist. Es gibt 1'000 Leute, die das besser können als wir und uns nervt es schlussendlich nur, da wir uns über uns selber aufregen. Es gibt nur schlechte Stimmung, wenn drei von uns das eine Foto besser finden und die anderen beiden das andere Foto und dann wird irgendein blöder Post gemacht. Das soll in Zukunft lieber jemand machen, dem das Spass macht. Wir haben unsere Vision und wir suchen jetzt Leute, die diese Vision tragen und für uns arbeiten, damit wir uns wieder auf die Musik konzentrieren können.
Bis jetzt ist es super gelaufen. In der Schweiz braucht man keinen Manager, wenn man selbst etwas im Kopf und gute Kontakte hat. Es ist sicher okay, wenn man einen Manager hat, aber brauchen tut man ihn aus meiner Sicht nicht. Aber jetzt, wo wir vermehrt ins Ausland gehen, möchten wir all dies nicht weiterhin selber machen für einen Markt, den wir gar nicht kennen. Ich möchte mich da nicht einlesen und die anderen möchten das auch nicht. Das soll jemand anderes machen, der darin Erfahrung hat.
Beat Hochheuser: Ihr scheint eine grosse Verbundenheit mit den Weltmeeren zu haben. Das erste Album hiess „Seven Seas“, es gibt Lieder wie „Flood“ und ihr bezeichnet eure Musikrichtung als „Atlantic Wave“ – woher kommt diese Verbundenheit mit dem Ozean?
Adrian Erni: Wir wollten bei Seven Seas ein Konzeptalbum machen. Wir haben Musik gemacht, dann den Kern herausgeschält und danach das Konzept geschrieben. Es war also nicht so, dass wir zuerst ein Konzept geschrieben und dann die Lieder dazu gemacht haben, sondern umgekehrt. Denn so funktioniere ich nicht und die anderen auch nicht. Wir fanden Gefallen am Meer, am Element Wasser, an der Seefahrt mit ihren Höhen und Tiefen. Man wird an den Strand gespühlt, man hat es im Leben mit schönen Sachen zu tun und mit Sachen die einen herunterdrücken und dann spühlt es einen wieder hinauf. Es hat sich dann nachher alles so ergeben. Der Begriff "Indie-Rock" als Musikrichtung wurde auch schon etwas zu viel beansprucht, mit dem kann man heute eigentlich schon gar nicht mehr kommen, deshalb war es auch ein Marketing-Gedanke, unsere Musikrichtung stattdessen "Atlantic Wave" zu nennen. Beim neuen Album haben wir vom Element Wasser dann eher zum Element Erde gewechselt. Vorher sind wir eher etwas geflogen, auch musikalisch, nun sind wir ein bisschen erwachsener geworden.
Beat Hochheuser: Bei Live-Auftritten ist neben der reinen Musik auch das Bühnenbild sehr wichtig. Ihr hattet dort schon recht spacige Sachen, z.B. am Stars in Town Festival in Schaffhausen mit den Foto-Schirmen, die wie Sattelitenschüsseln aussahen. Wer macht das bei euch und was steckt dahinter?
Adrian Erni: Das macht bei uns alles unser Keyboarder und Synthesizer-Spieler, Daniel Fanslau. Er kümmert sich um alles was Licht, Bühnenbild und Banner anbelangt, das flasht ihn am meisten. Wir hatten wenig Geld und so haben wir probiert, mit möglichst einfachen Mitteln eine möglichst gute Wirkung zu erzielen. Daniel hat dann etwas gesucht, was nicht viel kostet, einfach zu transportieren ist und eine Wirkung entfacht, die man noch nicht gesehen hat. Die Foto-Schirme hatten in unserem kleinen Bandbus gut Platz. Einen Swimming Pool auf der Bühne, um das Element Wasser zu repräsentieren, hatten wir leider nicht - den hat es im Optimalfall dann Backstage.
Beat Hochheuser: Ihr fallt immer wieder durch interessante Marketing Ideen auf. Ein Genie-Streich war beispielsweise das Golden Ticket, welches in manchen CDs des neuen Albums versteckt war und sich sicher auch absatzfördernd auswirkte. Wer hat diese tollen Ideen und wie läuft die Umsetzung?
Adrian Erni: Das Golden Ticket war in jedem fünften Album bei ExLibris versteckt und wir haben es selber in die CD Hüllen gesteckt. Die Finder dürfen mit ihrem besten Freund kostenlos zu einer Yokko Club Show ihrer Wahl kommen. Wir machen diese ganzen Sachen immer noch selbst. Ich finde es auch wichtig, dass man das lernt. Irgendwann werden wir aber jemanden brauchen, der sich um die Umsetzung kümmert. Die Ideen werden immer von uns kommen, die Ausführung soll aber in Zukunft jemand übernehmen, der dies besser und schneller macht als wir. Wir möchten künftig nur noch eine Sitzung machen, bei der wir sagen, was wir gerne umgesetzt haben möchten und dann werden wir die Ausführung einem Externen überlassen, damit wir mehr Zeit für die Musik haben.
Das Golden Ticket von Yokko war in jedem fünften Album bei ExLibris versteckt |
Adrian Erni: Ganz einfach, wir hatten sie angeschrieben, dass wir sehr viel Lust darauf hätten, mit ihnen zu touren und so eine Anfrage landet dann jeweils beim Management der Band. Eigentlich hätten wir es schon ein halbes Jahr vorher machen wollen, aber damals waren wir zu spät dran. Jetzt hatte ich gesehen gehabt, dass sie abermals auf Tour gehen und dann hatten wir ihnen geschrieben, wie es jetzt aussieht. Es ging dann zwischen dem Management und uns hin und her - und es brauchte natürlich schon ein bisschen mehr, als einfach nur ein Email. Wir mussten dafür kämpfen und schlussendlich haben wir es geschafft. Jetzt bin ich total happy. Es ist etwas, was wir in dieser Dimension noch nicht gehabt haben und das ist natürlich spannend. Vielleicht gefällt es uns ja dann auch gar nicht, wir wissen es noch nicht, aber wir werden es ja dann herausfinden.
Beat Hochheuser: Lezte Frage, was ist das Verrückteste, was euch je bei einem Konzert passiert ist?
Adrian Erni: Kleinere Sachen passieren immer mal, dass zum Beispiel der Gitarrenhals während dem Konzert bricht oder du die Gitarre hinter der Bühne vergisst. Aber das Verrückteste, was uns je passiert ist, war Folgendes: Wir haben an der Viadukt-Nacht in Zürich gespielt. Das ist ein Strassenfest bei diesen Steinbögen. Es waren extrem viele Leute dort, so dass wir ohnehin schon lange brauchten, bis wir durch die ganzen Leute durchgefahren waren, um unsere Sachen auf der Bühne aufzustellen. Wir waren genau auf die Zeit des Soundchecks dort und haben dann plötzlich gemerkt, dass wir doch tatsächlich den Synthesizer vergessen hatten und das nicht irgendwo, sondern in Bern. Dani eilte auf den Zug und fuhr nach Bern, schnappe sich den Synthesizer und fuhr wieder mit dem Zug zurück nach Zürich. Er kam zurück auf die Bühne und wir konnten wirklich exakt auf die Minute anfangen zu spielen. Ich glaube, verrückter geht es fast nicht.
YOKKO im TapTab Schaffhausen - To the fighters. To the boxers. Tour 2016 |
Text, Fotos und Videos: Beat Hochheuser für Schaffhausen.net