Sonntag, 26. April 2015

Interview - Schaffhauser Leichtathlet Marco Kern

Leichtathlet Marco Kern, Schaffhausen, Foto: D. Muffler
Nach Kunstturner Lucas Fischer aus dem Aargau (siehe Blogbeitrag) widmen wir uns heute einem Leichtathlet aus der Munotstadt, dem Schaffhauser Marco Kern (27). Sein grosses Ziel sind derzeit die Leichtathletik Europameisterschaften im Sommer 2016 in Amsterdam, wo er den 3'000 Meter Hindernislauf (Steeplechase) absolvieren möchte.

Als Etappenziele stehen vorher noch die Sommer-Universiade 2015 in Gwangju (Südkorea) und die Team-Europameisterschaften 2015 in Heraklion (Griechenland) auf dem Programm.

Im Schaffhausen.net Interview gehen wir neben dem Trainingsalltag auch ausführlich darauf ein, wie man es schafft, als Schaffhauser Leichtathlet seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Wir treffen uns mit Marco im traditionellen Café Vordergässli in der schönen Schaffhauser Altstadt zum entspannten Nachmittags-Kaffee. Beste Voraussetzungen für ein Interessantes Interview - und schon geht's looos!

Beat Hochheuser: Was ist dein nächstes grosses Ziel?

Marco Kern: Die Leichtathletik Europameisterschaften im Sommer 2016 in Amsterdam. Ich versuche mich für den 3'000 Meter Hindernislauf (Steeple) zu qualifizieren. Damit ich mich qualifizieren kann, werde ich eine Zeitvorgabe vom nationalen Leichtathletik-Verband "Swiss Athletics" bekommen, die ich erreichen muss. Gemäss dem letztjährigen Wert wird diese Zeitvorgabe ca. 8:37 Minuten sein. Diese Zeit muss ich dann an einem Wettkampf, den der Verband als Qualifikationsgrundlage akzeptiert, erreichen. Ich kann auch an mehreren solcher Wettkämpfe teilnehmen und muss es dann normalerweise mindestens ein Mal schaffen. Für mich geht es darum, dass ich mich bereits dieses Jahr den 8:37 Minuten annähre oder sie bereits erreiche.

Beat Hochheuser: Hast du noch weitere Etappenzeile bis zur EM 2016?

Marco Kern: Ja, ich möchte zudem dieses Jahr nach meiner ersten Teilnahme 2013 in Kazan (Russland) nochmals an der Universiade teilnehmen. Die Weltspiele der Studenten bis 28 Jahre findet dieses Jahr in Südkorea statt. Da ich noch an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) immatrikuliert bin und diesen Sommer 28 Jahre alt werde, passe ich auch noch knapp rein. Ausserdem möchte ich dieses Jahr auch noch an die Team-Europameisterschaften 2015 in Heraklion (Griechenland), dort tritt die Schweiz in der zweithöchsten Liga an. Man misst sich mit den anderen elf Nationen in dieser Liga und versucht, möglichst viele Punkte zu erzielen. In beiden Wettkämpfen will ich mich in meiner Hauptdisziplin 3000m Steeple empfehlen. Diese beiden Wettkämpfe sind interessant, weil man gegen internationale Athleten antritt. Ein Alternativplan sieht vor, dieses Jahr ohne internationalen Grossanlass auf schnelle Rennen und das Verbessern meiner Bestzeiten über 1500m, 3000m und 3000m Steeple zu fokussieren – natürlich im Hinblick auf die EM in Amsterdam 2016. Das vergangene Jahr war für mich nicht einfach, da ich mir die Vorstufe zu einem Ermüdungsbruch in der Hüfte zugezogen habe, weshalb ich nicht mehr laufen gehen konnte. Ich musste viereinhalb Wochen an Krücken gehen und durchlief eine intensive Rehabilitationsphase.

Beat Hochheuser: Wie sieht dein Tagesablauf in einer normalen Trainingswoche aus?

Marco Kern: Ich trainiere pro Tag zwei bis drei Stunden, in denen ich Kräftigungsübungen, Ausdauerläufe, Sprinttrainings und Intervalltrainings (z.B. 5x 1'000 Meter laufen und dazwischen je zwei Minuten Pause) mache. Ausserdem gehört dazu Beweglichkeitstraining und Dehnen. Ich wechsle das dann von Tag zu Tag ab, der eine Tag ist z.B. mehr ausdauerlastig usw. Zu diesen zwei bis drei Stunden kommen noch Sachen wie Physiotherapie und Massagen.

Beat Hochheuser: Okay und den Rest vom Tag liegst du auf der faulen Haut?

Marco Kern: Nicht wirklich, die letzten viereinhalb Jahre habe ich im Fernstudium den Bachelor in Betriebsökonomie an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) gemacht. Das Studium war aufgeteilt in 20% Frontalunterricht an der Schule selber in Regensdorf sowie 80% Selbststudium zu Hause. Man hat dort die Onlineplattform und kann alles Material herunterladen. Die benötigten Bücher bekommt man zugeschickt. Ich habe mir dieses Fernstudium ausgesucht, da ich für den Sport möglichst flexibel bleiben und auch an Trainingslagern teilnehmen wollte, zu denen ich das Material für das Studium mitgenommen habe. In dieser Zeit bin ich neben Sport und Studium nicht noch einer anderen Arbeit nachgegangen.
Marco Kern: Schweizer Meister Crosslauf 2015 in Lausanne  (Foto: Daniel Mitchell).
Beat Hochheuser: Musst du als Profisportler auf viele Sachen verzichten, z.B. beim Essen, Ausgang, Alkohol?

Marco Kern: Mir wird häufig von Leuten die Frage gestellt, was ich so esse. Am Morgen esse ich Müesli oder drei bis vier Scheiben Brot mit Honig oder Konfitüre und den Tag über meistens Früchte. Ich schaue, dass ich so esse wie meine Mutter zu Hause gekocht hat. Ich versuche mich also ausgewogen zu ernähren mit Gemüse und Früchten. Fettreiche Nahrung wie ein Big Mac oder eine Bratwurst mit Pommes Frites und Zwiebelsauce kommen für mich nicht in Frage, reizen mich aber ehrlich gesagt auch gar nicht so. Ich empfinde es nicht als Verzicht, weil mir diese Speisen gar nicht so zusagen. Früher habe ich noch eher solche fettreichen Sachen gegessen, heute aber nicht mehr. Süssigkeiten esse ich, aber in Massen. Ich trinke ab und zu ein Bier und auch mal ein Glas Wein, aber zurückhaltend, weil wenn man zu viel hatte, verzögert dies die Regeneration und schwächt einen beim Training in den nächsten Tagen. Betreffend Ausgang gehe ich schon mit Kollegen gerne mal weg, aber erst um zwei in der Nacht nach Zürich in den Ausgang zu gehen und am nächsten Tag um zehn Uhr wieder zu Hause zu sein kann ich mir nicht vorstellen. Ich habe jetzt diesen Weg gewählt und dementsprechend diesen Lebensstil, der ein wenig anders ist. Ich empfinde es aber nicht als Verzicht.

Beat Hochheuser: Wie sieht es mit verletzungsträchtigen Hobbys aus?

Marco Kern: Ich übe eigentlich keine verletzungsträchtigen Hobbys mehr aus. Früher bin ich sehr gerne Skifahren gegangen und im Winter etwa vier Wochen auf den Skiern gestanden. Damals konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass das mal anders sein wird. Je mehr Leichtathletik ich gemacht habe, desto weniger bin ich Ski gefahren. Diesen Winter war ich kein einziges Mal, letzten Winter vielleicht mal einen Tag. Ich habe nicht mehr so viel Zeit, da die Wintermonate wichtige Trainingsmonate sind. Früher bin ich auch bei jedem Wetter Skifahren gegangen, heute mache ich das nur noch, wenn schönes Wetter ist. Mein Training findet hauptsächlich draussen statt wobei ich schon bei jedem Wetter rausgehe.
Marco Kern beim Sieg im Kurzcross - Schweizer Meisterschaften 2015. Foto: D. Mitchell
Beat Hochheuser: Mich als Unternehmer interessiert es natürlich, wie du es schaffst, die ganze Sache zu finanzieren.

Marco Kern: Ich bin seit Herbst 2014 nicht mehr im Kader, da ich durch meine Verletzung die geforderte Leistung im letzten Jahr nicht mehr erbringen konnte. Davor war ich Angehöriger des B-Kaders. In diesem haben wir aber auch nicht wirklich finanzielle Leistungen erhalten, von Zeit zu Zeit wurde einem aber das Trainingslager bezahlt und solche Sachen. Der Kader wurde jetzt jedoch neu strukturiert und es gibt auf Elitestufe nur noch ein Kader. Wenn man dort drin ist, bekommt man monatlich eine finanzielle Unterstützung, welche nach Niveau abgestuft ist. Ich schätze, dass der grösste Teil der Schweizer Leichtathleten über den Sport nichts für später auf die Seite legen kann. Ich habe 2009/10 die Rekrutenschule gemacht und war seither dem CISM (Conseil International du Sport Militaire) und danach der Spitzensportförderung der Armee angehörend. Das ermöglichte es mir, meine WKs als Trainingslager oder Militärsportwettkämpfe zu absolvieren. Durch die Umstrukturierungen im Kader von Swiss Athlectics kann ich dieses Jahr aber nicht mehr vom Militär profitieren und muss es irgendwie anders organisieren. Im Prinzip war ich also genau im falschen Jahr verletzt. Jetzt geht es für mich darum, zurück ins Kader zu kommen, auch damit ich von dort aus wieder Unterstützung erhalte.

Beat Hochheuser: Du hast auch noch einen Supporter-Club für dich aufgebaut. Was ist das genau?

Marco Kern: Solange man international noch nicht wirklich den Durchbruch geschafft hat, hat man auch noch nicht so viel finanzielle Unterstützung. Um trotzdem alles finanzieren zu können, habe ich 2008 den Supporter-Club gegründet und ein Kollege hat mir eine Homepage programmiert. Um mich darüber finanziell zu unterstützen, bezahlt man als Bronze-Supporter 50 Fr. pro Jahr, als Silber-Supporter 100 Fr. pro Jahr und als Gold-Supporter 200 Fr. pro Jahr. Ab 400 Fr. pro Jahr kann man Exklusiv-Supporter werden. Der Support-Club zählt momentan etwa 90 Mitglieder. Die Supporter werden auf meiner Homepage in ihrer entsprechenden Kategorie aufgelistet. Alle Supporter erhalten sogenannte "Goodies" und werden von mir regelmässig über meine sportlichen Aktivitäten informiert. Ausserdem können sie jeden Oktober an meinem Supporter-Apéro teilnehmen.

Beat Hochheuser: Zudem hast du auch noch Sponsoren, die dich unterstützen?

Marco Kern: Genau, Colin&Cie. Vermögensmanagement ist derzeit mein Hauptsponsor, unterstützt mich finanziell und ermöglicht auch den Sponsorenanlass. Diesen Sponsoring-Vertrag konnte ich vor Kurzem mit Peter Strohm und Urs Dietiker (beide sind Partner bei Colin&Cie.) bis Ende 2016 verlängern. Im Gegenzug hat dieser Sponsor neben dem Ausrüster Adidas den präsentesten Platz für das Logo auf meiner Bekleidung. Von Adidas erhalte ich ausschliesslich Ausrüstung. Ich erhalte dort ein Budget, mit dem ich die Ausrüstung beziehen kann. Zudem habe ich noch ein paar andere Sponsoren. Früher hatte ich noch die Schweizer Post als wichtigen Sponsor, aber diese ziehen sich komplett aus dem Laufsport zurück und richten sich auf Geschäftskunden aus. Von meinem Verein, dem Leichtathletik Club Schaffhausen (LCS), erhalte ich ebenfalls eine monatliche finanzielle Unterstützung. Daneben erhalte ich je nach Leistung etwas an Preisgeldern oder Prämien für Wettkämpfe. So durfte ich etwa den Meta-Preis (Leichtathletik Förderpreis Schaffhausen) schon sieben Mal erhalten. Ich bin froh um jegliche Unterstützung, um damit meine Kosten zu decken. Etwas für später auf die Seite zu legen, liegt aber nicht drin. Derzeit arbeite ich nicht noch neben dem Training, aber mein Ziel ist es, dass ich nach dem Abschluss meines Betriebsökonomiestudiums einen Teilzeitjob zu maximal 50% finde. Mit Crowdfunding-Plattformen wie ibelieveinyou.ch oder wemakeit.ch (primär für Musikprojekte) haben Sportler weitere Möglichkeiten projektbezogen finanzielle Unterstützung zu erhalten. Ich setze aber auf mein eigenes Konzept und bin sehr froh um meinem Supporter-Club, der recht breit abgestützt und gesamthaft gesehen momentan mein grösster Sponsor ist.
Marco Kern - Leichtathlet aus Schaffhausen
Beat Hochheuser: Du bist jetzt 27 Jahre alt. Nach den Leichtathletik Europameisterschaften 2016 in Amsterdam wirst du 29 Jahre alt sein. Möchtest du danach noch weiter machen mit dem Profisport?

Marco Kern: Ja, ich denke es kann möglich sein, mich für Leichtathletik-Weltmeisterschaft zu qualifizieren. Ich bin überzeugt, mein sportliches Potential noch nicht ausgeschöpft zu haben. Es gibt in meinem Sport Athleten, die mit 35 Jahren noch vorne mit dabei sind, von dem her kann ich durchaus noch weitermachen. Es ist aber natürlich so, dass man, je älter man wird, schauen muss, ob der Körper noch mitmacht - und genau davon hängt es ab. Man kann heute nicht abschätzen, ob man selbst in acht Jahren noch dabei sein kann. Ich hatte auch schon einige Verletzungen und es ist sehr schwierig abzuschätzen, ob man jeweils seinen Körper beim Training bereits überbelastet oder ob es noch im Rahmen ist. Man muss sich sehr auf sein Gefühl verlassen, aber das Gefühl kann einen auch durchaus mal täuschen, besonders wenn man gerade in einer guten Trainingsphase ist und meint, man hätte alles gut im Griff.

Beat Hochheuser: Verletzungen sind für Profisportler eine üble Sache, auch psychisch. Was machst du, um dich aus dem Tal der Tränen wieder herauszuholen.

Marco Kern: Also singen, wie das Kunstturner Lucas Fischer macht, tue ich nicht. Ich habe mich in den Verletzungsphasen jeweils mehr auf mein Studium konzentriert und versucht, dort mehr Input zu geben. Es ist aber so, dass wenn man verletzt ist, der Aufwand enorm ist, um schnellst möglich wieder zurück zu kommen. Das wird häufig unterschätzt. Der Aufwand, wenn man verletzt ist, ist häufig noch grösser, als wenn man gesund ist. Wenn man von Arztbesuch zu Arztbesuch und von Therapie zu Therapie muss, hat man natürlich schon einen enormen Aufwand. Heutzutage kann man mit Physiotherapie sehr viel machen, häufig bereits ab dem Tag der Diagnose. Als Läufer konnte ich meistens schon kurz nach der Diagnose wieder Ausdauertraining machen, im Wasser oder auf dem Velo, sofern es der Arzt von der Belastung her erlaubt. Sturzverletzungen wie bei den Radrennfahrern, wo man dann vier Wochen ruhen muss, gibt es bei uns Läufern eher selten. Sobald man verletzt ist, probiert man einfach so schnell wie möglich zurück zu kommen. Es nützt auch nichts traurig zu sein. Ich versuche immer positiv und zuversichtlich zu sein, dann geht es schneller, als wenn man die Faust im Sack macht.

Beat Hochheuser: Letzte Frage: Du hast dich ja irgendwann dazu entschieden, dass Leichtathletik mehr als ein Hobby für dich sein wird. Wann oder wie ist das genau passiert und wie hat dein Umfeld darauf reagiert?

Marco Kern: Für mein Umfeld hat es nie so einen Moment oder Tag gegeben, an dem ich gesagt habe, ich will jetzt diesen Weg gehen und Sportler werden. Das ging eher schleichend vor sich. Für mich hat es aber schon einen Schlüsselmoment gegeben. Mit zwölf Jahren spielte ich Fussball beim FC Büsingen und begann daneben ins Leichtathletiktraining beim LC Schaffhausen zu gehen. Dort absolvierte ich die Mehrkampf-Disziplinen. Ich habe dann schnell gemerkt, dass mir das Laufen mehr zusagte als die anderen Disziplinen, wo ich eher unterdurchschnittlich oder durchschnittlich war. Als dann an den Weltmeisterschaften 2001 André Bucher Weltmeister über 800 Meter wurde, stand für mich von da an fest, auch Läufer zu werden. Ich durfte dann mit 14 Jahren im Herbst im Lauftraining von Daniel Rahm beginnen. Er ist bis heute mein Trainer. Zudem konnte ich dann auch von der Kanti Schaffhausen in die Kunst- & Sportklasse am Gymnasium Rämibühl in Zürich wechseln. Dort war es dann klar, dass ich das Laufen auch nach der Kanti weiterverfolgen möchte und es zu meinem Lebensmittelpunkt werden wird. Von meinen Eltern aus war das nie ein Problem. Sie haben mich und meinen Bruder bei allem was wir taten immer unterstützt und uns die Wahl gelassen, für welchen Sport und für welches Hobby wir uns entscheiden. Für sie war einfach wichtig, dass wir auch die Schule noch machen. Ich bin sehr froh, dass ich nun diese Ausbildung habe. Das ist sehr wichtig für die Zeit, wenn es mit dem Leistungssport vorüber sein wird.

Marco Kern: Facebook Page - Web: www.marcokern.ch

Bericht: Beat Hochheuser für Schaffhausen.net

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